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Die Myrafälle - ein Beispiel für Umweltschutz im 19. Jahrhundert

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Die Myrafälle im Gemeindegebiet von Muggendorf im Bundesland Niederösterreich bringen erstaunliche Belege für Auseinandersetzungen im Zuge von Umweltschutzaktivitäten im 19. Jahrhundert.



Die Zeitung "Das Vaterland" schreibt am 8. Juni 1899:

Ausflug zu den Mirafällen.​
Der Oesterreichische Touristenclub unternimmt Sonntag, 11. d. M., einen Ausflug zu den gefährdeten Mirafällen. Bekanntlich plant man die Ausnützung dieser Fälle für industrielle Zwecke und damit die Vernichtung einer Naturschönheit, deren Besichtigung Tausenden und Abertausenden erholungsbedürftigen Wienern hohen Genuß bereitet hat. Mit Energie verfolgt der Oesterreichische Touristenclub die von seinem Präsidenten Dr. Klotzberg im Gemeinderathe und im Landtage eingeleitete Protestaction, und der geplante Ausflug soll sich zum stürmischen Appell an die Behörden gestalten, die beabsichtigte Vernichtung der Mirafälle im Interesse aller Naturfreunde, im Interesse der Bevölkerung der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien nicht zu dulden.​


Die Badener Zeitung schreibt am 10. Juni 1899:

(Eine "Protestpartie") zu den Myrafällen wird morgen, Sonntag, unternommen werden. Bekanntlich haben der "Oesterr. Touristen-Club" und die Alpine Gesellschaft "Enzian" eine umfassende Action gegen das Project, das Wasser der herrlichen Myrafälle zu industriellen Zwecken zu verwerten, eingeleitet. Alle alpinen Vereine und Gesellschaften sind daher eingeladen, sich an dieser Partie zu betheiligen. Die Abfahrt erfolgt um 5 Uhr morgens vom Südbahnhofe.​



Die Badener Zeitung schreibt am 20. September 1899:

Die Zukunft der Mirafälle.​
Bekanntlich sollen die Mirafälle ein Opfer der industriellen Bestrebungen werden, ihre Wasserkraft, die zwischen 150-500 Pferdekräften schwankt, zu industriellen Zwecken zu verwenden. Wie die neueste Nummer der "Österr. Touristen-Zeitung" zu melden weiß, ist der vom niederösterreichischen Landtag dagegen eingebrachte Recurs zurückgewiesen und die k.k. Bezirkshauptmannschaft Wiener-Neustadt beauftragt worden "Verhandlungen einzuleiten, ob das genannte Unternehmen nicht auch in einer solchen Weise realisiert werden könnte, dass dasselbe mit den vorhandenen öffentlichen Rücksichten, welche in der wenigstens theilweisen Erhaltung der als Naturschönheit bekannten Mirafälle bestehen, in Einklang gebracht werden kann". Der österreichische Touristenclub beabsichtigt nunmehr, die Berufung an die niederösterreichische Statthalterei einzulegen. Es wäre doch zu traurig, wenn ein solches Naturschaustück wie es die Mirafälle sind, welches noch dazu in nächster Nähe der Residenzstadt liegt, dem Capitalismus zum Opfer fiele. Niederösterreich besitzt ohnehin deren nicht viele und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es der schönsten eine im Lande ist. Und so weit kann doch die blinde Zerstörungswuth nicht reichen, dass man unbekümmert um den idealen Sinn tausender von Anhängern an unserem herrlichen niederösterreichischen Berglande, unbekümmert um die Existenz so vieler von dem Touristenverkehr Abhängiger, in blinder Gieer nach allem greift, was unserem so nüchternen Leben einige Poesie verleiht - bei aller Hochachtung und Bedeutung vor dem Werte der Großindustrie. Der österreichische Touristenclub erwirbst sich hier ein Verdienst, an der Spitze der Protestbewegung zu stehen.​





Am 7. Oktober 1899 lautet es in der Badener Zeitung:


Zum Kampf um die Mira-Fälle​
Die Bewegung gegen die geplante Errichtung eines Elektricitätswerkes und die Ausnützung der Wasserkräfte dieser Fälle ergreift nun weite Kreise, und neuestens hat sich auch Meister Rollett in den Dienst der Streiter um das "Recht auf die Mira-Fälle" - eine "Kronlandszier", wie sie der Dichter so treffend nennt - gestellt und in einem stimmungsvollen Poem fordert er zum Widerstande gegen den beabsichtigten Vandalismus heraus. Wir können es uns nicht versagen, dasselbe hier wiederzugeben.​
Muss der altersgraue Streiter​
Für die Freiheit und das Recht​
Auf dem Feld des Kampfes noch weiter​
Zürnend zieh'n in das Gefecht?​
Schuf einst die Natur ein Wunder​
Anmuthvoller Herrlichkeit,​
Und nun wird's wie alter Plunder,​
Schnöd zum Raub dem "Geist der Zeit"!​
Klingend stürzen dort die Wellen​
Hell herab vom Felsgestein,​
Und das laute Lied der Hellen​
Klingt in unser Herz hinein.​
Da erscheint ein frevelnd Suchen,​
Das aus Wasser Gold will ziehn'n,​
Und trotz Bitten sinkt, trotz Fluchen,​
Eine Kronlandszier dahin! -​
O, dass es so weit gekommen,​
Dass hinfort der Mammon nur​
Dieser schalen Zeit will frommen​
Und kein Zauber der Natur!​
Laut erhebt nun All' die Stimme,​
Und zu wehren dieser Schmach,​
Singt ein Eu'res Herzens Grimme​
Mir dies Trutzlied schallend nach!​
Mit welchen Mitteln von der gegenerischen Seite, welche sich die Ausbeutung dieser Naturschönheit zum Ziele steckten, gearbeitet wird, kann man aus einem Schriftstücke ersehen, das der Vertreter des Herrn O. v. Rosthorn, Herr Dr. Heinrich Berlitzer, an den "Österr. Touristen-Club", der bekanntlich an der Spitze der Bewegung gegen die Ausnützung der Fälle zu industriellen Zwecken steht, gerichtet hat, in welchem er den Club, als den intellectuellen Urheber, ersucht, "dahin wirken zu wollen, dass sie dem Projecte der industriellen Ausnützung feindlichen Beschlüsse des n.ö. Landesausschusses und des Wiener Gemeinderathes aufgehoben (!) werden." Im schönsten Lichte jedoch zeigt sich der Verfasser dieses curiosen Schriftstückes in dem lapidaren Schlussatze, der verdient, höher gehängt zu werden:​
Der geehrte Club möge schließlich auch bedenken, dass der Concessionswerber es auch in seiner Macht hat, durch Ausholzung der die Abhänge der Schlucht bedeckenden Wälder die malerische Schönheit der Schlucht dauernd zu vernichten.
Hut ab vor dem Manne, der solches geschrieben!​

"Der Naturfreund" schreibt in Band XVII, Jahrgang 1913:

Naturschutz. Die prächtigen Mirafälle, die wegen ihrer Schönheit alljährlich von tausenden Menschen besucht werden, sind wieder einmal in Gefahr. Die nimmermüde Hydra Kapitalismus züngelt immer wieder gegen das prächtige Naturbild und will sich der Kraft des Wassers bemächtigen. Aus dem Fall der Mira soll klingendes Gold geprägt werden; der Kapitalismus sieht in diesem Wasserfall nur eine Kraftquelle. Sie auszunützen ist sein hartnäckiges Streben. Die Vernichtung der Mirafälle droht jetzt von der Stadt Wiener-Neustadt. In einer Sitzung, die am 17. Dezember 1912 stattgefunden hat, wurde beschlossen, im Prinzip für die Errichtung eines Elektrizitätswerkes zu stimmen, dessen Erbauung, gegen Verzinsung des Kapitals, die Immobilarbank auf eigene Kosten verspricht. Im württembergischen Schwarzwald ist ein Naturschutzgebiet errichtet worden. Es ist das Gebiet des geheimnisvollen dunklen Wildsees, unweit des Ruhesteins an der badisch-württembergischen Grenze. Das Schongebiet umfaßt etwa 73 Hektar, liegt auf Baiersbronner Gebiet ungefähr 1000 Meter hoch und bildet mit seinem düsteren, tiefen See, den umgebenden Bergabhängen, dem sumpfigen Moorgrund und herumliegenden Moränenschutt ein Bild unberührter Naturtreue. Wenn schon bisher die Axt des Holzhauers nur mit Mühe eindringen konnte, und das Herausschaffen der Stämme aus der moorigen Kesseltiefe die Arbeit kaum lohnte, so wird in Zukunft weder Holzhauer noch Jäger das Gebiet mehr betreten. Jedes menschliche Eingreifen unterbleibt, und Pflanzen und Tiere können sich in dieser Waldidylle nach Belieben entwickeln. — Am 14. Dezember 1912 fand die gründende Versammlung des „Oesterr. Vereines Naturschutzpark" statt. Zum Obmann wurde der gewesene Präsident des D. u. Oe. A.-V. Universitätsprofessor Hofrat Dr. Ritter v. Guttenberg gewählt. In inniger Zusammenarbeit mit dem deutschen Verein Naturschutzpark in Stuttgart ist nun ein großzügiges Programm entstanden, vorerst drei solcher 150 bis 200 Quadratkilometer großer Reservationen in der Tiefebene, im Mittelgebirge und in den Alpen ins Leben zu rufen, und so der gefährdeten Fauna und Flora aller Höhenanlagen Mitteleuropas eine bleibende Zufluchtsstätte zu bieten und sie vor dem Aussterben zuretten. Der Naturschutzpark in der Tiefebene wurde schon vom deutschen Verein in der poesievollen Lüneburger Heide unter der begeisterten Mitarbeit und Zustimmung ganz Deutschlands gesichert, der „Oesterreichische Verein Naturschutzpark" geht nun daran, den Alpennaturschutzpark zu gründen, dem später ein Naturschutzgebiet in Dalmatien zum Schutze der mediterranen Fauna und Flora folgen soll. Der „Oesterreichische Verein Naturschutzpark" hat sein Sekretariat in Wien, III, Erdbergstraße 63, errichtet und erhebt einen Mindestbeitrag von K 3.— jährlich.​

Die "Badener Zeitung" schreibt am 11. Juni 1913:

(Begehung des Mirabaches.) Freitag den 13. d. M. ist die wasserrechtliche Begehung des Mirabaches und vom Verhalten der Wasserrechtler wird nun viel abhängen, ob die industrielle Ausnützung der Wasserfälle zur Tatsache wird.​

Dennoch wurde trotz allem Protest das Myrawerk gebaut und im Oktober 1914 in Betrieb genommen, 1975 wurde das Kraftwerk Myrawerk stillgelegt:


Interessant wären weitere Hinweise auf Umweltschutzaktivitäten in Österreich im 19. Jahrhundert?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Möglicherweise wäre ein weiteres Beispiel der Waldbachstrub-Wasserfall in Hallstatt, der bereits im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel war. Aber ich müsste erst genauer nachlesen, ob es wirklich konkrete Umweltschutzaktivitäten diesbezüglich gegeben hat.

Zum Beispiel in den Schriften Peter Roseggers ist der Natur- und Umweltschutz-Gedanke zu finden. Betont wird vor allem dabei das Verhältnis Natur-Mensch.

Zitat Roseggers aus seinem "Heimgarten" zum Aufgehen des Menschen in der Natur: "Ich bin ein großes, unsterbliches Wesen, die Felsgebirge sind meine Knochen, das Weltmeer ist mein Blut, die Stürme sind mein Atem."

In Peter Roseggers Heimgarten lassen sich übrigens auch frühe volkskundliche Erfassungsversuche des ländlichen Raumes finden."Eine freundliche, reinliche Wohnung, ein bequemes Kleid, eine schmackhafte Nahrung, Maschinen zur Arbeit, Bücher, Kunstgegenstände für Geist und Gemüt, kurz alles, was das Leben verschönert, ohne den Beruf zu schädigen, möchte ich eingeführt wissen im Landhause, im Bauernhof."
 

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