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Die erste Reise – wer erinnert sich?

Babel

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Als ich neulich auf einem Flohmarkt Ansichtskarten aus dem Harz sah, erinnerte mich das an meine erste Reise. Es muß wenige Wochen oder Monate vor meinem fünften Geburtstag gewesen sein. Wir wohnten in einem Hotel in Wernigerode; aus dem Fenster sah man auf einen großen Platz, dessen Häuser mir seltsam "kariert" vorkamen (Fachwerk!). Morgens und abends machte Kuhglockengeläut darauf aufmerksam, daß eine Kuhherde quer über den Platz wanderte. In einer Ritze draußen am Fenster fand ich ein kleines buntes Reliefbildchen mit einer Märchenszene – ein Winterhilfsabzeichen.

Soweit das Alltägliche dieser Reise. Aber es gab zwei für mich großartige Ereignisse: Das eine war die Besteigung des Ottofelsens (siehe Bild). Es ging über Leitern nach oben; meine Mutter kam nicht mit und wollte auch meinen Vater davon abhalten, mich mit hinauf zu nehmen. Von oben sah ich sie dann unten auf einem Stein sitzen und ein Butterbrot auspacken. Im übrigen scheint mich die Aussicht von oben nicht beeindruckt zu haben, um so mehr aber die Leitern und der Felsen. In der Berliner Gegend, wo ich zuhause war, gibt es keine Felsen, nur Sand.

Das andere war der Weg zur Steinernen Renne. Den Namen dieses Wasserfalls habe ich immer behalten, der Wasserfall selbst war mir offenbar nicht interessant. Aber auf dem Weg dahin kamen wir an einer Bank vorbei, auf der ein Mann saß und ein ganz unglaubliches gelb-schwarzes Tierchen auf der Hand hielt. Es saß da friedlich und schien sich nicht zu ängstigen, ich konnte es lange anschauen. Ich habe nie wieder einen Feuersalamander in Freiheit gesehen.

Im Speisesaal des Hotels gab es Suppenterrinen mit Löwenköpfen statt Henkeln. Die beeindruckten mich tief. Meine Mutter hatte da eine andere Erinnerung: Am Nebentisch saß eine Frau mit rotlackierten Fingernägeln, und ich trompetete offenbar durchs halbe Lokal: "Guck mal, was die für Nägel hat!" Peinlich ... ;)

Ich fände es schön, wenn auch andere von ihren frühen Reisen erzählten. (Es muß ja auch nicht die allererste sein.)
 

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Zuletzt bearbeitet:
Da hast Du ja eine schöne Kindheitserinnerung! Wir sind leider nie verreist,
ich verbrachte einmal Ferien bei einer Tante in Gevelsberg, ein anderes Mal
in Wermelskirchen bei Schloß Burg. Den ganzen Tag wurde draußen gespielt,
manchmal auch ein Ausflug gemacht oder es ging ins Freibad. Zu Hause
hatten wir es aber auch schön, ab und zu ein Tagesausflug mit der Bahn nach
Wuppertal (Zoo), Köln oder ins Sauerland (Dechenhöhle). Meine erste größere
Fahrt ging ins Landschulheim an der Nordsee über die Pfingstferien (7. Klasse).
Schulfreundinnen fuhren schon nach Holland oder Italien (Camping).
Wir hatten auch kein Auto, da mein Vater als Eisenbahner dieses Verkehrsmittel
bevorzugte, natürlich hatte man die preiswerten Personalfahrkarten oder
sogar einige Freifahrten. Dies meine Erinnerungen! -Ulrike
 
Da hast Du ja eine schöne Kindheitserinnerung! Wir sind leider nie verreist ...
Reisen müssen auch nicht unbedingt schöne Kindheitserinnerungen sein. Ich muß noch oft an eine kleine Freundin meiner Tochter denken: Wochenlang jubelte die Fünfjährige der ganzen Nachbarschaft die Ohren voll: "Wir fliegen mit dem Flugzeug! Wie fliegen nach Ibiza!"
Als sie zurückkam, wußte sie nur zu berichten, sie hätte soooo schlimmen Sonnenbrand gehabt (ihre Haut schälte sich immer noch furchtbar!), und die Insekten hätten sie soooo zerstochen ... :smi_heult
 
Da es in der Familie nur ein Fahrrad gab und auch kein übriges Geld für Bahnfahrten, war die erste Wien-Fahrt - kurz vor Schuleintritt - schon eine Reise. Sehr wohl dürfte ich mich dabei nicht gefühlt haben, weil nur noch Erinnerungsfetzen vorhanden sind. Da war mal das Wecken mitten in der Nacht, so kams mir vor, weil wir zum Zug mussten. Es ging zu einer Tante meines verstorbenen Vaters, an die Wohnung erinnere ich mich nicht mehr. Nur noch an den Straßenlärm und die vielen Autos und dass man endlos warten musste, bis man über die Straße konnte: Ampeln waren mir unbekannt. Und zwar ging es zum Spielen. Und dann war ich in so einem Käfig und zu beiden Seiten fuhren Autos. Später dachte ich, das hätte ich aus einem schlechten Traum, bis ich dann draufkam was es war: den Käfig gibt's immer noch! Am Gürtel im 12. Bezirk, zwischen den Fahrbahnen :smi_augen.
Dann waren wir im Prater in der Geisterbahn, ich hatte so viel zu schauen, dass ich aufs Fürchten vergaß. Was mich aber negativ beeindruckte, war meine Cousine (?). Wir fuhren mit einem kleinen Boot in so einem (künstlichen) Bächlein, ein paar Enten waren auch da - und ich plantschte mit der Hand ins Wasser. Da wurde die ganz hysterisch: wie kann man nur in so ein schmutziges Wasser greifen, sie behandelte mich daraufhin wie eine Aussätzige. Da wollte ich nur noch heim auf meinen Baum und zur Katze.
Alles andere von dieser ominösen Reise ist weg :D.
 
... den Käfig gibt's immer noch! Am Gürtel im 12. Bezirk, zwischen den Fahrbahnen ...
Was ist das für ein Käfig? :confused: Hast du ein Bild davon oder gibt es einen Link zu einem Bild, wo das Ding drauf ist?

Ja, Reisen zu Verwandten gab es bei uns auch. Daran habe ich aber kaum Erinnerungen. Eine Veranda an einem Haus. Ein Hausflur mit einem Fenster, das ein Bild war (wohl so ein Jugendstil-Glasgemälde). Ein Onkel mit einer langen Pfeife. Nur eine Erinnerung ist mir in aller Schärfe im Gedächtnis geblieben und hat mich endlos gequält:

Wir machten alle zusammen einen Spaziergang "zu den Schanzen". Von einem Berg aus sah ich weiter unten etwas, das aussah wie mehrere Reihen Zinnen in der Art, wie sie an neugotischen Tudor-Schlössern üblich sind (so ein Schloß kannte ich). Das gefiel mir, und als mich meine Mutter zwei, drei Tage später wieder zum Spazierengehen anzog, wünschte ich mir, wir würden wieder "zu den Schanzen" gehen. Sie wußte nicht, was ich meinte. Ich beschrieb genau und immer wieder, was ich gesehen hatte. Sie sagte, so etwas hätte sie nicht gesehen, und an einem Ort dieses Namens seien wir gar nicht gewesen, ich bildete mir das nur ein. Kein Erwachsener weiß, was er einem Kind damit antut: Ich habe jahrzehntelang immer wieder völlig klare Erinnerungen angezweifelt.

Mit etwa 40 Jahren bin ich nochmal in diesen Ort gefahren. Ich fand einen "Schanzenweg" – so etwas gab es also. (War ich erleichtert!!!) Es war ein ziemlich flacher Berg, überall ringsum Gesträuch und Bäume, man sah von dort überhaupt nichts. Beim Runterweg kam ich an einem verrosteten Tor vorbei und ging hinein. Es war ein Judenfriedhof: Mehrere Reihen gleichförmiger Grabsteine. Da wußte ich, was ich damals gesehen und für Zinnen gehalten hatte. Und ich wußte auch, warum meine Mutter angeblich nichts gesehen hatte. Wir waren im Dritten Reich: Einen Judenfriedhof sah man nicht.

Heute müßte ich nicht mehr hinfahren, um meine Erinnerung zu verifizieren. Schanzen und Jüdischer Friedhof (Admin: beide externen Links existieren nicht mehr) sind im Internet zu finden.
 
Danke, Harry - ich hätte keines gehabt. Das ist aber was ganz Extremes, auch von Größe und Lage.

Auch hier gleich um die Ecke bei der Familienkirche klebt so was an der Rückseite, ist aber nur ein Ballspielplatz und auch nötig, sonst wär das Spielgerät dauernd weg. Außerdem ist rundherum ein normaler Kinderspielplatz.
Für Nicht-Wiener: in Meidling, dort wo ich mein Erlebnis hatte, ist der Grünstreifen zwischen innerem und äußerem Gürtel ziemlich breit und diese Spielplätze sind relativ groß, aber als Kind vom Land war ich trotzdem entsetzt.
 
Und dann war ich in so einem Käfig und zu beiden Seiten fuhren Autos. Später dachte ich, das hätte ich aus einem schlechten Traum, bis ich dann draufkam was es war: den Käfig gibt's immer noch! Am Gürtel im 12. Bezirk, zwischen den Fahrbahnen.
Käfige wie den von Harry abgebildeten habe ich in New York gesehen, immer mit erwachsenen oder halberwachsenen Basketballspielern drin. In Deutschland kenne ich keine, und in Österreich hätte ich auch keine erwartet – schon gar nicht zu einer Zeit, als du deine erste Reise machtest.

Ich war merkwürdig irritiert, eine Großstadtbeschreibung zu lesen. Meine frühen Reisen gingen in Dörfer oder Kleinstädte (wobei ich auch von den Kleinstädten den "städtischen" Teil kaum gesehen habe, sondern nur den grünen Vorort). Städte dagegen waren mir vertraut (Potsdam, Berlin). Komisch, wie eng die Vorstellungen an die eigenen Erfahrungen gebunden sind – ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß ein Kind vom Land in die Stadt reist ... :confused: Deshalb ist es für mich eine äußerst interessante Schilderung! :smiley_da
 
Naja, eigentlich war es ein Verwandtenbesuch, diese Tante war auch die Ersatzmutter meines Vaters und hatte mich noch nie gesehen. Aber für mich war es eine Reise von ca. 100 km ;). Das ist eben alles sehr individuell, auch, wie man es empfindet, bzw. es in der Erinnerung bleibt.

Für mich war damals alles eine Reise, wo man nicht zu Fuß hin konnte. Meine bis dahin längste war der Schulabschluss-Ausflug auf den Dachstein.

Richtig los gíngs erst mit 16, als ich motorisiert war :D.
 
Für mich war damals alles eine Reise, wo man nicht zu Fuß hin konnte.

Richtig los gíngs erst mit 16, als ich motorisiert war :D.
Das war vor der allgemeinen Motorisierung für jeden so, denke ich. Eine rein touristische Reise wie die in den Harz, über die ich geschrieben habe, war damals wohl eher eine Seltenheit. Verwandtenbesuche waren das übliche.

In den 50er Jahren kam dann die "Reisewelle" (nach der "Freßwelle", wie immer gesagt wird), und man fuhr vorzugsweise nach Italien – auch noch nicht unbedingt per Auto (das war noch was für "Bessergestellte"), sondern vielfach mit dem Bus. Meine Eltern hatten nie ein Auto. Meine ersten "nichtfamiliären" Reisen machte ich, als ich 22, 23 Jahre alt war, mit meinem Freund (+ seiner Mutter, seinem Bruder oder Freunden von ihm – allein mit ihm hätte ich nie verreisen dürfen!!!): Nach Paris, nach Florenz, nach Wien. Ich fand das alles ziemlich uninteressant – ödes Baedeker-Sternchen-Abhaken ... :rolleyes: Seeehr schön waren dagegen die beiden mehrtägigen Klassenfahrten (mit 16 und 18) – auf den Arber im Bayerischen Wald, in die Silvretta.

Ein Freund von mir hat mal ein Lied geschrieben – Anlaß war, daß man "seinen" Provinzbahnhof nach Streckenstillegung abgerissen hat. Ich finde, der Text gibt recht schön wieder, was der Bahnhof früher für ein Kind bedeutete:

"Einst, als wir Kinder noch waren, hielt hier die Werktags-Bummelbahn (...)
Und war das 'ne Freude, wenn Vater sprach: Heut fahr'n wir 'ne Strecke mit dem Zug!
Wir warteten unter dem Bahnsteigdach, die Zeit bis zur Abfahrt verging nicht schnell genug.

Am Schalter wurden Karten gelöst, es drehte sich das metallene Tablett.
Der Schaffner, der oft in der Sonne gedöst, trug jungen Damen gern das Gepäck.
Der Bahnhof war für uns das Tor der Welt, versprach viele Reisen nach Nord und Süd,
und wir erträumten (aus Mangel an Geld) eine Fahrt ins Indianergebiet ..."
 
Ja, unsere gute alte Krumpe hätte ich beinahe vergessen!
4 Jahre 6km zu Schule - Lehenleiten war die einzige Station zwischen Schul- und Wohnort - und 5 Jahre zur Arbeit, 12 km in die andere Richtung.
Aber jedes Muss war ja keine Reise. Der Reiabirl-(Reisigbündel)Express brachte uns auch zu Fachärzten z. B. nach St. Pölten oder so. Alles, was es eben im Dorf nicht gab. Aber REISEN, das zerging nur auf der Zunge, in Reichweite war es nicht ;).
 
Aber jedes Muss war ja keine Reise.
:offtopic:
Interessant, daß du das sagst. Normalerweise ist das ja nicht strittig. Aber unter den Büchern, die ich z. Z. lese (ich lese immer mehrere thematisch verwandte Bücher gleichzeitig, lese sozusagen hin und her), befassen sich zwei mit der auffallenden Tatsache, daß die Teilnehmer des Ersten Weltkriegs das vielfach als Reise empfanden, obwohl es nicht freiwillig war (natürlich nur so lange, wie sie nicht in Kämpfe verwickelt waren – aber auch dann noch in den Ruhezeiten). Ich besitze ja eine Sammlung von Zeichnungen eines Kriegsteilnehmers (in Kopie), in denen auch oft der "Blick des Touristen" so offenkundig ist – daher auch diese Lektüre.

Man spricht ja auch von Dienst"reisen". Ich selbst habe meine Dienstreisen nach Möglichkeit so gelegt, daß ich vorher oder hinterher noch einen halben oder ganzen Tag zur freien Verfügung hatte, weshalb ich sie wirklich meist als "Reisen" in Erinnerung habe, auch wenn sie mir "nebenbei" abverlangten, irgendeinen Vortrag zu halten oder ein Seminar zu leiten. Irgendwie scheint es auch von der Erwartung und Einstellung abzuhängen, ob man etwas als Reise empfindet oder nicht, und nicht nur von Muß oder Nicht-Muß.

Vom Thema Kindheitsreisen ist das jetzt allerdings weit entfernt. Oder? Als Kind reist man nie freiwillig, man wird mitgenommen.
 
Vermutlich ist "Reise" doch ein etwas dehnbarer Begriff.
Meine Bemerkung war noch auf die Kindheit/Jugend gemünzt und da noch unter den Umständen dieser Zeit. Natürlich ist jeder aufwändigere Ortswechsel eine Reise, vermutlich hängt es auch von der Entfernung und der Regelmäßigkeit ab, ob etwas eine Dienstreise ist oder ein Arbeitsweg.
Ich glaube schon, dass in den Krieg ziehen müssen eine Extremsituation ist, in der sich jeder irgendwie zu motivieren versucht (oder bereits motiviert wurde) und das auch in die seltsamsten Autosuggestionen münden kann - sag ich mal so, auch wenn mir deshalb vielleicht wieder einige böse sind, wenn ich nicht ans große Heldentum glaube.
Und die Umgangssprache sollte man auch nicht außer Acht lassen, die von Phantasiereisen spricht, oder der letzten Reise...
Ich hab das Thema in Richtung freiwilligen Ortswechsel verstanden, auf den man sich freut, Neues kennen lernt usw.
Übrigens wird man nicht nur als Kind mitgenommen und kommt, wenn man Pech hat, recht mitgenommen zurück :D.
 
... auch wenn mir deshalb vielleicht wieder einige böse sind, wenn ich nicht ans große Heldentum glaube.

Übrigens wird man nicht nur als Kind mitgenommen und kommt, wenn man Pech hat, recht mitgenommen zurück :D.
Da wird dir niemand böse sein. Wer glaubt schon ans große Heldentum? :verdaecht

Da hast du seeeehr recht! (Ich erwähnte ja schon, daß ich früher nach Paris, Florenz und Wien mitgenommen wurde. :D)
 
Gilt auch für den 2. Weltkrieg( obige Bemerkung zum 1. Weltkrieg)!
Mein Vater war zunächst in Norwegen, dann in Wisconsin in am. Gefangenschaft. Er hatte Glück im Unglück, dass er nicht zuletzt an die
Ostfront sondern an die Westfront verlegt wurde, obwohl es dort nicht
weniger grausam war. - Ulrike
 
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