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Aus früheren Tagen

Gotto

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Erinnerungen an den Zauberwinkel und Oberau

In den 50er und 60er Jahren war ich einigemale in den Ferien bei meiner Tante in der Wildschönau.
Als ich das erste Mal mit meinem Vater dorthin fuhr war ich ca. 5 oder 6 Jahre alt. Ich kann mich noch ganz gut an die Reise und den Aufenthalt erinnern.
Vornehmlich die Fahrt mit Bahn und Postauto war für mich ein eindrucksvolles Ereignis, war es doch meine erste Reise mit einem Zug. Wir fuhren selbstverständlich mit einem Personen-zug, der Schnellzug hätte 10.-S mehr gekostet. Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, da es zwischen Innsbruck und Wörgl viele Stationen gab wo der Zug haltmachen musste. Aber eben deshalb ist die Fahrt noch so gut im Gedächtnis erhalten. Die Einrichtung der Wagen war zu jener Zeit noch sehr einfach, gepolsterte Sitze gab es nur in der 1. Klasse, es war laut da die Schienen noch nicht verschweißt waren. Die Fahrkarten waren aus Karton und wurden vom Kondukteur mit einer Lochzange entwertet.
Als wir dann in Wörgl ankamen, mussten wir in das Postauto umsteigen. Gemächlich ging es dann über die Wildschönauerstraße Richtung Oberau.
Vor einer Holzbrücke mussten alle Fahrgäste aussteigen und zu Fuß darüber. Möglicherweise traute man der Stabilität nicht mehr. Am anderen Endpunkt der Brücke hieß es wieder alles einsteigen und es ging weiter. In Oberau dann angekommen war ich so aufgeregt, dass ich beim Aussteigen meinen Mantel im Bus liegenlassen habe. Und weiter ging es zu Fuß in den Zauberwinkel, ca. 1 Stunde Fußmarsch. Der Weg war damals noch nicht asphaltiert und für den Pkw-Verkehr noch nicht ausgebaut. Teilweise ging man entlang des Waldrandes und hatte einen wunderschönen Blick auf Felder und Wiesen. Man kam an den alten Höfen vorbei, besonders der Gwiggner-Hof ist mir noch in Erinnerung. (Dieser Hof steht jetzt im Höfemuseum in Kramsach.) Dann das Gasthaus Zauberwinkel, welches es noch heute gibt und dann schließlich am Ende des Weges, fast schon wieder im Wald, das kleine Haus ganz aus Holz, wo meine Tante wohnte. Für die Romantik und Ruhe hatte ich damals als Kind wenig übrig und es war für mich beunruhigend zu wissen, dass es kein elektrisches Licht gab. Und es war dann auch so, dass mich, wenn es finster wurde, ein Angstgefühl erfasste und das Heimweh mich im Würgegriff hatte.

Eine Petroleumlampe war noch in Verwendung. Und Petroleum musste gespart werden. Am Anfang des Zauberwinkelweges in Oberau, wo der Weg von der Hauptstraße abzweigt, war ein kleiner Gemischtwarenladen, dort gab es das Petroleum, ich kann mich noch genau daran erinnern, ein grünes Blechfass mit einem Zapfhahn zum Abfüllen. Es roch auch in dem Laden vorwiegend nach Petroleum.

Die Tante hatte immer eine Henne. Natürlich auch einen Gockel dazu. Der beschützte die Eierproduzentin. Ein sehr wehrhafter Hahn und da er ja nur eine Henne hatte war er umso mehr um ihr Wohlbefinden besorgt. Ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu ihm. Er war derjenige der bedingungslos den beginnenden Tag verkünden musste und das wenn es noch nicht einmal hell war. Man wurde geweckt, ob man wollte oder nicht. Zudem attackierte er mich sofort wenn ich seiner Henne zu nahe kam.

Die Tante hatte auch Katzen. Viele Katzen. Man konnte nicht exakt sagen wie viel es waren, aber es waren bestimmt 10 oder noch mehr. Allesamt ein wenig verwildert und dementspre-chend benahmen sie sich auch. Und die Katzen hatten jede Menge Flöhe. Sie wurden zwar immer wieder von der Tante zwischen den Knien eingeklemmt und von den Blutsaugern befreit, aber alle Flöhe zu erwischen war aussichtslos. Ich habe hin und wieder auch einen Floh abbekommen, sie blieben nicht lange Gast denn spätestens nach dem ersten Biss suchten sie sich einen anderen Wirt.
Die Jäger sahen natürlich nicht gerne, wenn die halbwilden Katzen im Wald herumstreunten und dezimierten von Zeit zu Zeit den Bestand unter Verwendung von Schrotladung.

Fließendes Wasser gab es keines. Aber eine Quelle, ungefähr 10 Minuten vom Haus abgelegen, dort wurde das Trinkwasser geholt. Ein täglicher Spaziergang durch den Wald, unterwegs wurden je nach Jahreszeit Pilze und Beeren gesammelt. Damals stolperte man noch über Herrenpilze, Steinpilze, Bratlinge und Pfifferlinge.
Für die Wäsche wurde das Regenwasser gesammelt. Die Tante schwörte auf das weiche Regenwasser für Gesicht und Hände.

Einmal bekam ich Fieber. Die Tante wusste ein Hausmittel. Sie nahm Blätter vom Holunderstrauch, legte sie mir auf die Stirn und band sie mit einem Leinentuch fest.

An der Sonnenseite des Hauses hingen immer Glasflaschen mit Johanniskrautöl. Sie machte es selber. Johanniskrautblüten wurden vom Wegrand gesammelt in eine Flasche gefüllt, dann kam Olivenöl dazu und wurde in die Sonne gehängt. Mit der Zeit färbte sich dann das Öl rot und war gebrauchsfertig.
Auch Ringelblumensalbe machte sie. Aus Schweineschmalz in dem sie die Ringelblumenblüten kochte.

Und Fichtennadelhonig aus den jungen Trieben von Fichten und Zucker.

Pilze wurden blättrig aufgeschnitten, getrocknet und in Gläsern aufbewahrt.

Am Haus führte ein Weg vorbei zu einem beliebten Platz der „Schönen Aussicht“, von dem man in das Inntal nach Wörgl hinab sehen konnte. Damals gingen die Touristen gerne diesen Weg, einerseits wegen der Aussicht und anderseits wegen der Tante in ihrem Häuschen. Der Anblick von ihr und dem Haus erinnerte ein wenig an das Märchen von Hänsel und Gretel, an die Hexe und das Knusperhäuschen. Sie wurde auch von einigen Bewohnern des Hochtales wegen ihrer Kenntnisse über Heilkräuter und ihrer Erscheinung als „Kräuterhex“ bezeichnet.

Der Tante entkam keiner der am Haus vorbei ging, vor allem deshalb weil die Urlauber natürlich stehen blieben und dieses Postkartenmotiv betrachteten. An der Hauswand hatte sie einen Art Hausaltar aufgerichtet mit Bildern vom Andreas Hofer, Speckbacher, Vasen mit Almrosen und Wiesenblumen, vor allem Arnika etc. Sobald sie jemanden hörte, war sie geschwind draußen und begann mit den Fremden zu reden. Sie fragte die Leute in welchem Sternzeichen sie geboren sind und klärte sie dann über die daraus bestimmten Eigenschaften auf. Je nachdem wie sympathisch sie ihr waren, fiel das Ergebnis aus. Mädchen erkundigten sich bei ihr ob der Freund bzw. Bräutigam wohl das richtige Sternzeichen habe. Fürchterlich schimpfen konnte sie wenn Papiertaschentücher von den Fremden weggeworfen wurden mit der Begründung dass diese dann von Kühen gefressen werden. Und den Trägerinnen von Schuhen mit den damals in Mode gewesenen Pfenniggroßen Absätzen prophezeite sie schlimmste Unterleibserkrankungen.

Jedenfalls war sie fester Bestandteil eines Spazierganges der Urlauber zur „Schönen Aussicht“. Sie gehörte zum Inventar des Zauberwinkels.

Alles was sie zum Leben benötigte musste sie von Oberau hereintragen. Das war mit einem beachtlichen Fußmarsch verbunden. Am großen Frauentag, 15. August, ging ich auch einmal mit ihr in das Dorf Oberau. Sie hatte einen Strauß Wiesenblumen und Kräuter zusammengebunden um ihn in der Kirche weihen zu lassen. Der Fußmarsch nach Oberau ist in einer Stunde zu bewältigen. Wir brauchten natürlich die doppelte Zeit. Bei fast jedem Haus welches am Weg stand wurde eingekehrt und ein paar Worte gewechselt.
So war es seinerzeit der Brauch.
Von den Unterhaltungen habe ich immer nur sehr wenig ver-standen, da die Leute sich im Dialekt verständigten und mir die meisten Worte und Ausdrücke nicht geläufig waren. Es war fast wie eine Fremdsprache.
Kurz vor der Einmündung des Zauberwinkelweges in die Wildschönauerstraße konnte man Tal auswärts nach Niederau sehen. Damals war diese Straße nicht asphaltiert und wenn ein Auto kam, so erblickte man von fern schon eine Staubwolke die hinter dem Fahrzeug aufgewirbelt wurde. Allzu viele Fahrzeuge fuhren nicht auf dieser Straße. Vorwiegend war es das Postauto welches mit Staubwolke und Posthorn schon von weitem sein Eintreffen ankündigte.
Im Dorf selbst hatte sie natürlich auch einige Pflichtbesuche zu erledigen. Als erstes zur Post, nachsehen ob ein Brief da ist. Briefträger kamen ja nicht in den Zauberwinkel. Beim einzigen Kaffee dem „Kaffee Unterberger“ wurde ein Frankfurter Würstel gegessen und beim Spar-Geschäft Lebensmittel eingekauft. Dies war ein kleiner Laden in dem gab es nahezu alles, gewis-sermaßen ein Supermarkt in Miniatur. Die Tante wollte mir warme, lange Hosen kaufen, mir war mehr nach einem Spielzeug. Es kam zu keiner Einigung. Auf dem Weg heimwärts wurden dann noch ein paar Kartoffel und Bohnen bei einem Bauern erworben.

Die Kost bei der Tante war bescheiden. Fleisch gab es gelegentlich. Wenn die Henne keine Eier mehr legen konnte, kam sie in den Suppentopf und der Hahn bekam eine neue Henne. Vom Hörensagen sollen in Zeiten der Not auch Katzen in die Pfanne gekommen sein, aber wie gesagt das waren nur Gerüchte, ich selbst kam nie in die peinliche Situation eine Katze zu essen. Einmal fragte sie mich ob ich ein „Ochsenauge“, „Oxnaug“ sagte sie, zum Essen möchte. Ich schaute fassungslos drein, ich konnte ja nicht wissen, dass damit ein „Spiegelei“ gemeint war. Eigentlich ist es eine bessere Bezeichnung für das zubereitete Ei, denn es gleicht wahrhaftig einem Auge eher als einem Spiegel.

Aufgekocht wurde an einem gemauerten Herd. Das Brennmaterial war Holz, welches sie im Wald sammelte. Sie musste viel Zeit im Jahr dafür verwenden ausreichend Heizmaterial zusammenzutragen um dann im Winter über die Runden zu kommen. Das Brennholz war an den Hauswänden fein säuberlich aufgeschichtet und sie zeigte mir mehrmals stolz ihren Vorrat und erklärte ausführlich welch schwere Arbeit damit ver-bunden ist.

Die Wiesenfläche des Nachbarbauern grenzte an die Südseite des Hauses. Zu der Zeit wurde in der Wildschönau noch mit der Sense gemäht. Es gab wohl auch schon Motormäher aber nur sehr wenige.
Vom kleinen Küchenfenster aus konnte ich dem Bauern beim Mähen zusehen, hinaus getraut habe ich mich nicht. Er war für meine Begriffe ein etwas unheimlicher Mensch. Dunkle Kleidung, ein großer Hut, ein gewaltiger Schnurrbart und überhaupt sah er schon sehr alt aus, obwohl er nach heutigem Einschätzen bestimmt erst 30 war. Aber die harte Arbeit und die rauen Lebensumstände hatten dem Mann Furchen in sein Gesicht gegraben. Er könnte aus einem Bild von Albin Egger-Lienz entsprungen sein.

Später wurden dann die Wiesen auch hier mit einem Motormäher gemäht. Die Tante schimpfte fürchterlich. Der Lärm, die Abgase und die Hektik gingen ihr gegen den Strich. Sie prophezeite natürlich, dass das Heu durch die Abgase des Motormähers verseucht sei, die Milch dadurch minderwertig und die Kühe krank werden.

Vom Zauberwinkel aus gibt es eine Abkürzung über den Aubachgraben nach Wörgl. Der Aubachgraben ist mir noch gut in Erinnerung weil wir, mein Vater und ich, öfters diesen Weg zum Zauberwinkel gingen. Man war schneller zu Fuß als mit Bus zuerst nach Oberau und dann in den Zauberwinkel.
Einmal bin ich in ein Wespennest getreten und dabei hatten mich an die 10 Wespen gestochen. Letztmals bin ich den Weg im August 1962, 14 Jahre alt, gegangen. Es war mein letzter Ferienaufenthalt bei der Tante. Da ich nach den Ferien, im September, meine Lehre als Schlosser begann, gab mir die Tante alles Mögliche mit was so zum Leben notwendig war. In meinen kleinen Koffer kam alles was sie für unentbehrlich hielt. Von der Kernseife und dem Waschpulver angefangen, sie war der Meinung Schlosserlehrlinge können nicht genug Seife und Waschmittel haben, bis zum „was weiß ich noch alles“. Jedenfalls glich der Inhalt meines Koffers dem eines Hausierers. Ich schleppte das Ding also den Aubachgraben nach Wörgl hinunter und dann zum Bahnhof. Mitten in der Bahnhofshalle passierte dann ein Unglück. Der Koffer öffnete sich schlagartig, die Verschlüsse waren wohl nicht mehr ganz in Ordnung, und der ganze Inhalt sprudelte heraus. Die Kernseife schlitterte erwartungsmäßig am weitesten. Ich wollte am liebsten in den Boden hinunter sinken, so sehr schämte ich mich, als ich mitten in meinem Kramerladen stand. Eine Frau erbarmte sich und half mir die Habseligkeiten aufzusammeln wobei sie beim Anblick der kuriosen Füllung meines Koffers so nebenbei fragte ob ich eine größere Reise vorhabe. Mit rotem Kopfe sagte ich ihr, dass ich nur nach Innsbruck fahre.

Ob es den Bergsteig vom Aubach aus, Kreuzweg genannt, über Zauberwinkl - Hausberg nach Oberau noch gibt?
Es ist an der Zeit nachzusehen.

Im Mai 1968, zu der Zeit war ich gerade beim Bundesheer, wurde ich von meiner Cousine zu Ihrer Hochzeit nach Oberau eingeladen. Da ich ein armer kleiner Rekrut war hatte ich natürlich sehr wenig Geld. Der Tagessold betrug damals 15.-S. Um die Fahrkosten zu sparen stellte ich mich in meiner Uniform als Autostopper an die Hallerstraße. Damals war es noch Ver-pflichtung in den ersten sechs Wochen die Uniform zu tragen. Es hatte bald jemand Erbarmen mit mir und nahm mich mit. Die erste Station war Wörgl. Von Wörgl nach Oberau nahm mich ein Gendarm in seinem Dienstfahrzeug mit. Ich kam gerade noch rechtzeitig zur Trauung, konnte aber nicht mehr in die Kirche, da sie total überfüllt war. So musste ich vor der Kirche auf das Brautpaar warten. Das Mahl wurde beim „Kellerwirt“ eingenommen und am Nachmittag ging es dann nach Auffach. Ich machte mir schon Sorgen um die Rückfahrt, da ich ja wieder zeitig in der Kaserne sein musste, aber mein Onkel Gottfried kannte die Nöte eines Rekruten und brachte mich mit seinem Auto zurück nach Wörgl, bezahlte mir eine Fahrkarte und ich war erleichtert. Ich bin inzwischen auf einigen Hochzeiten gewesen, aber diese Hochzeit ist mir noch immer am besten in Erinnerung geblieben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja aber hallo Gotto

Ein sehr schöner Bericht aus deinen früheren Kindheitstagen.
Er hat mir sehr gefallen.


lg. Lena
 
Mir hat deine Geschichte ebenfalls gut gefallen, sehr anschaulich erzählt!
- Auch in meiner Kindheit gab es Schaffner, die die Fahrkarten" knipsten"(Lochzange).
Im Zug waren noch einzelne Abteile mit Holzbänken. - Mein Vater löste manchmal
eine Bahnsteigkarte und ging mit mir einfach mal: den Betrieb anschauen. Er war
auch Eisenbahner, kannte er die Männer an den Sperren,
durften wir schon mal umsonst!
 
Hallo Gotto!

Das ist ein wahrhaft anschaulicher Blick in Deine Erinnerungen - Danke dafür!

Ich wünsche unserer jetzigen Jugend, dass sie später in der Lage sein wird, IHR Erinnerungspotential ausschöpfen zu können. (Aber vielleicht versteh ich auch bloß ihre "Aktionen" nicht und kann deshalb kaum glauben, dass daraus mal schöne Erinnerungen für sie wird?)

Liebe Grüße aus'm Steyrtal
Norbert
 
Hallo Gotto,
ein wirklich interessanter Bericht.
Vielen Dank!
Weißt du noch was das für Pilze waren, die da getrocknet wurden?
LG Volker
 
@ Volker:

Steinpilze und Herrenpilze wurden feinblätterig aufgeschnitten auf einem Papier ausgebreitet und an der Luft getrocknet.
 
eine wirklich tolle erzählung ... vielen dank dass du deine erinnerungen mit uns teilst!
 
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