Ich hab lange überlegt, ob ich da jetzt was sagen soll, aber da wir es ja auch mit Erzählforschung zu tun haben:
Auch ich war schon mal vor langer Zeit mit dem Thema konfrontiert:
Vor der "Alpung", also dem Auftreiben des Jungviehs auf eine Alm, wurde das Jungvieh für einige Tage auf eine dem Dorf nahe gelegene Weide getrieben, um an den alleinigen Aufenthalt im Freien gewöhnt zu werden. Dies geschah immer Vormittags und war mit einem kleinen Fest verbunden, da das gemeinsame Austreiben aufgrund des nervösen und daher oft störrischen Viehs immer ein bisserl abenteuerlich war. Alle Mitbewohner des Dorfes, Bauern und Nichtbauern, halfen dabei zusammen, und kaum waren die Tiere in der Weide und der Zaun geschlossen, gabs vor Ort eine gemeinsame Jause mit Speck und Most. Alle bleiben natürlich in der Umgebung, um "bei der Hand" zu sein, falls ein Tier - dem elektrischen Zaun zum Trotz - durch den Zaun marschierte. Und das Landleben sowie Kindererziehung und Tagessorgen boten genug Stoff, um darüber bis zum Abend zu reden.
Nach Einbruch der Dämmerung marschierten wir dann alle wieder ins Dorf zurück, blieben aber bei einem Bauern zusammen, und alle Stunde marschierte einer hinaus auf die Weide, um nach dem Rechten zu sehen. Die Stimmung hob sich mit zunehmendem Most- und Schnapskonsum, bis kurz nach Mitternacht die Meldung des "Kontrolleurs" reinkam: "da will einer eine Kalbin wegtreiben".
Als erstes wurde rasch die Gendarmerie angerufen, wobei ich bei deren Eintreffen den Lotsen machen sollte. Flugs sprangen die anderen auf Fahrräder oder liefen am kürzesten Weg leise zur Weide, um den vermeintlichen Dieb zu beobachten, vielleicht gar zu stellen.
Später wurde dann berichtet: Hier fand einer ein Hemd am Weg, kurz danach ein anderer wenig davon entfernt ein Unterleibchen. Ein Dritter stolperte in der Dunkelheit über ein abgestelltes Moped und hatte die Geistesgegenwart, die Nummerntafel abzutasten und sich das auch noch zu merken - er war später der Held des Tages oder besser: der Nacht!
Zu diesem Zeitpunkt dachte noch jeder an Diebstahl, wenn man sich auch schon wunderte: aber die Informationen waren ja noch nicht zusammengetragen! Fast gleichzeitig wurde dann ein Bauer von der Person entdeckt, als derselbe Bauer diese als "schmals Bürsch'l bei oana liegadn Holländerin" (Holländerin= schwarz-weiß gefleckte Rinderrasse) knien bemerkte. (D:schmächtiger Bursche bei einer liegenden Holländerin). Sofort sprang der entdeckte Bursche auf, flitzte einen Abhang hinauf zu seinem leider unbewacht gebliebenen Moped, startete dieses und fuhr ohne Licht zuerst querfeldein und dann durch einen großen Obstgarten davon.
Zu gleicher Zeit kam die Gendarmerie ins Dorf gefahren, ich sprang auf den Rücksitz und lotste die Beamten rasch zur Weide - und hörte zu meinem Erstaunen folgenden Dialog: "Ob das der Gleiche ist wie in A....... ?" - "Könnt schon sein, ist ja net weit weg!" "Aber dort waren's ja Schöffen (D: Schafe)" ....
Da erst wurde mir auch ohne Nachfrage klar, womit die beiden erfahrenen Beamten rechneten! Und das Folgende gab ihnen auch tatsächlich recht. Die Kleidung wurde sichergestellt, der junge Mann noch in der gleichen Nacht aufgrund des Kennzeichens gestellt und befragt .... Aufgrund des Datenschutzes haben wir allerdings nie Genaueres erfahren ...
Das war mein erster diesbezüglicher Kontakt ... Aber die Überraschung kam noch erst:
An meinem damaligen Arbeitsplatz diskutierten wir einige Zeit später über dieses Thema, das sicher in unserer modernen, aufgeklärten Zeit ein "Einzelfall" sein mußte. Da kam pfeifend ein Kollege zur Tür herein, verstummte, hörte mit, und sagte ohne weitere Aufregung: "Jaja, wir hatten vor kurzem einen ähnlichen Fall, der ging auf Hühner los ..." ... und auf das Bemerken, dass das ja wohl ein Witz sei und schon das Rindvieh für uns alle ein Verständnisproblem darstelle, setzte er noch eins drauf: "Was regt's Euch auf, wo ein Ei durchgeht ........" .... Konsterniert dreinschauend mußten wir gottseidank die Diskussion abbrechen, da die Mittagspause ohnehin zu Ende war ....
Trotzdem war das immer noch nicht alles ....
Ich besuchte wenig später meine Mutter im Altenheim, und da sie in Kriegszeiten aus Steyr evakuiert wurde und einige Zeit auf einem Bauernhof im Großraum Wels verbrachte, deutete ich die Geschehnisse vorerst vorsichtig an - immerhin gab's in dieser (Eltern)Generation ja einige Tabu's mehr als heutigentags. Aber auf ihre entschlossene Fragestellung erzählte ich ihr diese beiden Begebenheiten ... und ihre Reaktion beschränkte sich auf die lakonische Information, dass "dort damals einer zu den Säuen gegangen sei, ....." .....
Seit diesem Zeitpunkt erst weiß ich dass dieses Thema totgeschwiegen und hochgradigst tabuisiert wird. Aber seit damals weiss ich auch, dass das Wissen darum wahrscheinlich sogar in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden ist ... aber eben in einem ganz ganz hinten liegenden Winkel des Gehirnes ...
Euer nachdenklicher
Norbert