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Analysen zu einem englischen Flugzeug-Foto aus dem 2. Weltkrieg

cerambyx

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Grüß Euch!


Ich wußte nicht wirklich wohin mit dieser Analyse eines Bildes von far.a und hab dabei diesen Thread "Luftfahrt" gefunden - andererseits war's als Kommentar zum Foto irgendwie zu lang ..... wenn's hier nicht paßt, dann bitte ich Wolfgang es an einen passenden Ort zu verschieben!

Da es hier in diesem Forum auch um "Erzählungen" geht, schildere ich aber gleich auch den ganzen, für mich sehr interessanten Vorgang der Recherchen zum Bild:

Bei der "üblichen" Durchsicht der aktuellen Texte und Bilder von sagen.at stach mir das Bild des abgestürzten Flugzeugs von far.a ins Auge - immer wenn nur wenige bis gar keine Angaben vorliegen, juckt es mich gehörig und ich begann mal mit einer ersten "Bildanalyse":
Flache Landschaft, junge Alleebäume, rechts hinten Hügel, Flugzeugwrack, Uniformierter in "Pose", rechts unten im Eck ein helles liegendes "U", das irgendwie an einen alten Lehnsessel erinnert, links unten im Bild weiße Streifen, die an .... nichts erinnern. Steht da was? Liegt da was? Teile von irgendwas? Verbranntes Material? ... nix zu machen, Tote Hose !

Blieb nur das Flugzeug ... kurze Recherchen im Internet ergaben (für mich) nix, also erinnerte ich mich, dass ja der Sohn "meiner" Johanna seinerzeit Modellflugzeuge baute und jede Menge Bücher daheim (und im Kopf, wie ich feststellen mußte) hat. Ein kurzes Telefonat - und schwupp, klingelte es an der Tür ...

Ein längerer fachmännischer Blick auf das Bild, ein gemurmeltes "Sternmotor .... seltsame Konstruktion .... 2. Weltkrieg? ... sooo ein altes Modell? .... könnt ein Japaner sein ... könnt ein Italiener sein .... wo ist das, in der Steiermark? .... was hat der für z'sammdruckte Haxen .... des Fahrwerk hat der ah net einziagn kenna .... " leitete eine ausgedehnte Internetrecherche von fast 3 in Worten DREI Stunden ein:
Ich lernte dabei, dass das Flugzeug - weil total ausgebrannt - kaum Information bot, aber diese am Bild fast unsichtbaren Zylinderköpfe des Sternmotors DER Anhaltspunkt (weil selten) waren! Und so kamen wir nach unzähligen Seiten und gemurmelten "des is' nix normales, des is' nix alltägliches, des is koa Standard ...." und seitenlangen Sternmotor-Modell-Listen-Vergleichen zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Bauform der Ventildeckel (von einem Rechteck ausgehend, eine kurze Seite zugespitzt, somit fünfeckig) um einen Motor von "Bristol Mercury IX Sternmotor" handeln müsse .... und der wurde - na eh klar - in die "Gloster Gladiator" eingebaut ... rasch noch ein paar Bilder von Restauratoren herbeigelinkt, weil (=Erfahrungswert eines Modellbauers!) nur dort kann man "unter die Haut" schauen .... und schon war alles klar .... das war drei Stunden und zwei dreifache hervorragende (Scotch)Whysky später!
Nun waren nur noch einige Vergleiche an den Bildern herauszusuchen, um das auch interessierten Laien (wie mir, wie Euch) klarzumachen, was zu dieser eindeutigen Identifizierung führte:

Signifikante Details in der Bauweise weisen auf die in Großbritannien gebaute und eingesetzte Gloster Gladiator hin.

Scheinbar ist die Maschine mit dem Rücken aufgeprallt oder nach einem Überschlag deformiert worden. Daher fehlen die oberen Tragflächen (des ursprünglichen Doppeldeckers) zur Gänze, sowie das komplette Seitenruder (normal hinten oben) und die linke untere Tragfläche!

Normalerweise besteht der Rumpf aus Metallrippenbauweise und Bespannung im vordersten Bereich der Tragflächen sowie die Motorverkleidung aus dünnem Alublech, der Rest aus (silberbfaarbenem) Stoff – beide Materialien verbrennen im Schadensfalle leicht, daher sind bei der ausgebrannten Maschine nur mehr die Rippen (Stahlkonstruktion) sichtbar!

Markierungen auf Bildern 1,2,3 (Ansicht in Originalgröße=100% notwendig, sonst ist Schrift und Markierung nicht gut les- bzw. sichtbar)

Grüner Ring: Originale Teilung der Tragfläche – ein kurzer Flügelansatz am Rumpf integriert. Spantenteilung des Flügels (Durchgehende Spanten werden durch feinere Aufteilung im vorderen Bereich verstärkt: abwechselnd 1 durchgehender und 2 feine Spanten in Abfolge)
*
Gelber Kreis: Seitliche schräge Verstrebung zu Motoraufhängung

Blauer Pfeil: Fahrwerksbeine und Flügelübergang (Maschine hat starres, nicht einziehbares Fahrwerk, Maschine war zum zeitpunkt des 2. Weltkrieges bereits veraltet!), spätere Maschinen wie z.B. Spitfire und Hurricane hatten einziehbare Fahrwerke!)

Blauer Kreis: Identer viereckiger Bereich in der Rumpfbauform unmittelbar hinter der Flugzeugführerkanzel.

Roter Kreis: Frontscheibe der Flugzeugführerkanzel, beim abgestürzten Modell deformiert/nach unten gedrückt > Hinweis auf Überschlag oder Aufprall bei Rückenlage

Roter Pfeil: Idente Ventildeckelbauform des Sternmotors Modell Bristol Centurion, eingesetzt in der Gloster Gladiator > daher hierdurch sehr eindeutige Indentifizierung möglich

Bild 4: Die Gloster Gladiator in der Luft

Die „modernen“ Fotos repräsentieren Bilder aus dem Internet von einer in Arbeit befindlichen Restauration einer Gloster Gladitor (GB) und zeigten sehr deutlich den konstruktiven Aufbau der Maschine.

Linksammlung:
Gloster Gladiator mit Details:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gloster_Gladiator
Summer-Evening-Flying-Display 15. Mai 2010:
http://www.airventure.de/old_warden_summer_2010.htmFlugzeuglexikon:
https://www.flugzeug-lexikon.de/Museum_Duxford/Gloster_Gladiator/gloster_gladiator.html

Ich hoffe, far.a damit etwas geholfen zu haben - es war auch für mich ein sehr interessanter Ausflug in eine weitgehend unbekannte Welt.

Gute Nacht und liebe Grüße
Norbert
 

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AW: Luftfahrt

Eine fantastische Analyse von Cerambyx und Team!

Dazu ein paar Worte:
Die meisten Sternmotore haben nebeneinander liegende Stösselstangen bzw. Stösselrohre für auslass - bzw. einlassventile. Dieser Motor hat aber hintereinander liegende Stösselstangen in einem Stösselrohr, eine seltene Bauweise, daher die fünfeckigen Ventildeckel.
Die Bespannung (silbrigfarbener Stoff) der Tragflächen bestehen aus Baumwollstoff auf den Rippen aufgekläbt und mit den Rippen vernäht. Dieser Stoff wird einigemale mit Spannlack gestrichen, bei den letzten 2 - 3 mal wird Aluminiumpulver den Spannlack beigemengt um die schädliche UV-Strahlung abzuschirmen.

Die Hauptfahrwerksbefestigung befindet sich im Fachwerksverband brandspant - vordere Tragflächenaufhängung. Durch das gewicht vom Motor tritt hier die größte Belastung bei der Landung auf.
 
Ich habe mir erlaubt, für dieses hervorragende Thema hier einen eigenen Thread zu eröffnen. Weiters habe ich zu Beginn das Ausgangsbild eingefügt!

Vielen Dank an Norbert und sein Team für diese exzellente Bild-Analyse! :smi_klats

Vielleicht melden sich auch weitere Leser zu Wort?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Ich bin überrascht über das Echo dieses Photos, das Dank cerambyx und seinem Team einen äußerst spektakulären Verlauf nimmt.
Das Ganze hier ist doch ein interessantes Forum - oder nicht?
far.a:kopfkratz
 
... cerambyx und seinem Team ...

Ich freu mich natürlich über das positive Echo und gebe gerne das Lob an "mein Team" (= Klemens) weiter - schließlich bin ich nur danebengesessen und hab' selber gestaunt!

Herzliche Grüße in die Runde
Norbert
 
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